Der lange Weg des Johannes Frey

D.SPORTS INSIDE

Im Oktober 2022 zog sich Johannes Frey vom JC 71 Düsseldorf eine Horrorverletzung zu. Erst zwei Notoperationen retteten sein Bein, die Judokarriere schien beendet. Trotzdem gab er nicht auf, kämpfte sich zurück und gewann nun in Ungarn Gold. Jetzt ist er wieder voll motiviert und will zu Olympia 2024.

Es ist gut eine Woche her, da veröffentlichte der Deutsche Judo-Bund (DJB) auf seiner Homepage einen kleinen Bericht über die European Open im ungarischen Gyor. Die waren recht erfolgreich für die deutschen Starter verlaufen, es hatte mehrere Medaillen gegeben, unter anderem für Johannes Frey vom Judoclub 71 und vom Team Düsseldorf, der sogar Gold holte.

Also gönnte ihm der DJB ein paar Sätze: „Das Comeback des Wochenendes feierte dabei Johannes Frey (JC 71 Düsseldorf/NW) in der Gewichtsklasse über 100 kg. Nach einer langen, verletzungsbedingten Leidenszeit kehrte Johannes Frey nach über einem Jahr auf die Tatami zurück. Nach einem starken Auftritt und einem verdienten Sieg im Finale gegen Movil Borchashvilli aus Österreich belohnt sich der Schwergewichtler des DJB mit der Goldmedaille. Was für ein Comeback!“

Dramatische Verletzung

Wer nicht so ganz im Judo zu Hause ist, konnte danach denken: Schöne Geschichte, aber jetzt auch nichts Besonderes. Verletzungen kommen halt vor im Leistungssport. Und manche Athleten kehren danach eben zurück und gewinnen dann gleich wieder etwas. Aber die Geschichte von Johannes Frey ist weitaus mehr als das. Wer mit ihm spricht, hört Sätze wie diesen: „Ich bin erst mal froh, dass ich überhaupt wieder laufen kann und mein Bein noch habe.“

Johannes Frey ist wahrlich kein Dampfplauderer. Außerhalb der Judomatte ist der 27-Jährige ein eher ruhiger, meist reflektierter Vertreter. Wenn er also derartige Sätze sagt, muss da wirklich etwas Dramatisches passiert sein. Und das ist es.

Johannes Frey, wie er sich am liebsten sieht. Foto: Kenny Beele

Es war im Oktober 2022, Frey war beim Grand Slam in Abu Dhabi. Der Wettkampf in den Vereinigten Arabischen Emiraten war gleichzeitig Teil der Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele 2024 in Paris. Und da wollte Frey natürlich hin, er gehört schließlich seit Jahren zur Weltspitze in seinem Sport, 2021 hatte er in Tokio mit der Mannschaft bei Olympia Bronze geholt. Für Paris waren die Ansprüche noch höher. Doch dann kam dieser Grand Slam in Abu Dhabi – und danach war alles anders.

Kompartmentsyndrom

„Im Kampf um Bronze habe ich mir das Kreuz- und das Innenband gerissen“, erzählt er. Was natürlich bitter war, aber was danach folgte, war weitaus schlimmer als das: Denn als er am nächsten Tag nach Hause flog, konnte er kaum noch gehen: „Als mein Bruder mich am Flughafen abgeholt hat, habe ich gesagt: Ich habe solche Schmerzen, ich halte das nicht mehr aus. Es kann nicht sein, dass das nur ein Kreuzbandriss ist.“ Das war es auch nicht. Frey hatte ein so genanntes Kompartmentsyndrom.

Laut Wikipedia beschreibt das den Zustand, „in welchem bei geschlossenem Haut- und Weichteilmantel ein erhöhter Gewebedruck zur Verminderung der Gewebedurchblutung führt, woraus neuromuskuläre Störungen oder Gewebe- und Organschädigungen resultieren.“ Frey selbst beschreibt es so: „In meinem Unterschenkel hat sich Blut angesammelt und gestaut. Mir wurden bei der Not-OP 2,5 Liter Blut rausgenommen.“ Es folgte dann sogar noch eine zweite Notoperation, erst danach war klar: Johannes Frey wird sein Bein behalten können.

Johannes Freys Karriere kennt nicht nur Höhen: Foto: Kenny Beele

Judo war aber natürlich erst mal kein Thema. Als er da lag im Dreifaltigkeits-Krankenhaus in Köln habe er sich gedacht: „Das war es mit dem Leistungssport.“ Es dauerte Tage, bis er sich wieder aufraffen konnte: „Aber dann habe ich mir gesagt: Nein, das war es noch nicht. Ich habe noch viel Zeit, habe noch viel vor und will Medaillen holen. Ich schaffe das. Und ich habe es geschafft mit guten Ärzten, Physios, dem Sportpsychologen, mit Familie, Freunden und meiner Freundin.“

Der Weg dahin war aber weit, Frey lag wochenlang nur im Bett. „Ich hatte eine lange Zeit, in der ich nicht mal gehen konnte. Ich habe das Aufstehen vermieden, einmal am Tag zur Toilette gehen, war schon die Hölle.“ Und es waren nicht nur die körperlichen Schmerzen, „natürlich spielt das Mentale auch eine ganz große Rolle“, sagt Frey.

Ohne gutes Umfeld nicht zu schaffen

Nun war es nicht sein erster Ausfall, er war bereits mehrfach verletzt, auch eine Corona-Infektion hatte ihn mal für längere Zeit außer Gefecht gesetzt. Aber das hier war anders. Hier ging es darum, überhaupt wieder auf die Beine zu kommen. Gerade für einen Kampfsportler, der sich auch über seinen Körper definiert und es gewohnt ist, stark zu sein, war das eine Herausforderung. Eine, die er alleine nicht gemeistert hätte.

„Ich bin froh, dass ich einen guten Sportpsychologen an meiner Seite hatte, mit dem ich viel geredet habe.“ Der heißt Moritz Anderten, ist an der Sporthochschule Köln und am Olympiastützpunkt Rheinland tätig. Anderten und Freys Umfeld bauten den Judoka langsam wieder auf.

Das war auch nötig – gerade als Individualsportler. Natürlich sind lange Verletzungspausen auch für Mannschaftssportler hart, man frage nur nach bei DEG-Verteidiger Kyle Cumiskey, der von September 2022 an 16 Monate lang ausfiel. „Das Mentale ist schwieriger als das Körperliche“, sagte er währenddessen. Aber Cumiskey hatte wenigstens noch ein ganzes Team um sich.

Kämpfertyp Foto: Kenny Beele

Frey hatte das nicht. Also sagt er: „Im Einzelsport ist es noch schwieriger, jeder kämpft da für sich alleine.“ Wobei er dann „doch nicht ganz alleine war. Ich habe das Glück, meinen Bruder an meiner Seite zu haben. Der ist für mich da, auch als Trainer, weil er seine Karriere beendet hat.“ Und der ja auch ein Großer seines Sports ist, auch Karl-Richard Frey gewann in Tokio Bronze. Nun ist er der, der seinem Bruder dabei helfen will, in Paris noch etwas zu gewinnen.

Bis dahin ist es aber schwer. „Natürlich ist das für mich eng, ich war eineinhalb Jahre raus, konnte nicht kämpfen, habe keine Qualifikationspunkte gesammelt“, sagt Frey. Denn durch das Kompartmentsyndrom konnte der Kreuzbandriss erst drei Monate später behandelt werden. Alles zog sich hin, es dauerte Monate, bis Frey wieder voll trainieren konnte. Und er war auch dann nicht komplett belastbar, musste seinen Stil ändern.

Zunächst keine Spezialtechniken

„Ich habe früher sehr viele tiefe Sachen geworfen. Ich bin auf die Knie gesprungen und habe den Gegner von unten raus aufgeliftet und geworfen, das waren meine Spezialtechniken. Aber das habe ich am Anfang einige Zeit weglassen müssen, weil ich noch Schmerzen hatte, auf die Knie zu springen“, erzählt er.

Erst kürzlich in Ungarn war das wieder anders: „Da habe ich schon wieder meine ganzen alten Techniken zeigen können.“ Und am Ende gewann er direkt Gold. „Besser kann so ein Comeback gar nicht laufen“, sagt er. Zwar schied er beim nächsten Wettkampf am Wochenende in Baku in der zweiten Runde aus, aber auch das sollte ihn nicht aufhalten: „Ich bin total heiß darauf, jetzt in der kurzen Zeit weiter Punkte zu sammeln für die Olympischen Spiele und hoffe, dass es noch für 2024 in Paris reicht.“

Johannes Frey mit seiner Olympiamedaille. Foto: Anne Orthen

In der Weltrangliste ist er schon mal wieder geklettert, steht immerhin wieder auf Platz 43. Aber direkt nach Paris schaffen es nur 17 Judoka pro Gewichtsklasse. Und es darf nur einer pro Land starten, aktuell sind andere Deutsche vor Johannes Frey.

Er glaubt trotzdem dran. Weil er sich wieder topfit fühlt: „Ich habe sogar das Gefühl, dass das Knie jetzt stabiler ist als das andere.“ Auch mental sei er noch mal stärker geworden: „Man kann entweder aufgeben oder die Zeit nutzen und stärker zurückkehren. Ich habe aus jeder Verletzung gelernt, ich hatte ja auch genug Zeit, um an vielen Sachen zu arbeiten.“ Und wenn es wirklich noch für Paris reicht, dann soll das mehr als ein Ausflug werden: „Ich habe schon viele Leute aus der Weltspitze geschlagen. Ich denke, ich habe das Zeug dazu, auch in Paris eine Medaille zu holen.“

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